Aus zweiter Hand

Historische Paradigmen literarischer Rekursivität

Geplantes Graduiertenkolleg (DFG)
Designierter Sprecher: Prof. Dr. Winfried Eckel

Im Kolleg sollen ästhetisch-textuelle Rückbezüge auf dem Feld der Literatur und der Medien als Operationen perspektiviert werden, die entscheidend auf den Verlauf kultureller Dynamiken einwirken respektive diese überhaupt erst in Gang setzen. Literarische Rekursivität wird als Arbeit an der Werteordnung der Kultur in den Blick gebracht, die diese zu stabilisieren oder zu transformieren vermag oder, im Regelfall, beide Tendenzen auf ambivalente Weise in sich vereinigt. Letztlich erweist sie sich damit als eine kulturkonstitutive Größe: Sie trägt dazu bei zu definieren, was zu einem gegebenen Zeitpunkt überhaupt als ‘Kultur’ verstanden wird. Besonderes Augenmerk liegt in diesem Zusammenhang auf dem paradoxen Umstand, dass es häufig gerade Rückbezüge auf Vergangenes und Bekanntes sind, die sich als kulturell produktiv entpuppen und ästhetische Neuerungen ermöglichen. Das Projekt unterzieht unter diesen Vorzeichen das literaturwissenschaftliche Paradigma der Intertextualität einer Reinterpretation, indem es die historische und performative Dimension des von ihm adressierten Phänomenbereichs in den Vordergrund rückt. Als die zentralen Typen ästhetisch-textueller Rekursion werden die Praktiken des Ab- bzw. Umschreibens, des Übersetzens und des Weiterführens unterschieden. Sie sind zugleich strukturbildend für die Organisation des Kollegs. Dessen mögliche Arbeitsfelder ergeben sich daraus, dass die genannten Formen der Textverarbeitung auf drei historische Schwerpunkte bezogen werden. Diese liegen im Mittelalter, in der Sattelzeit und in der (Post-)Moderne. Um zu erforschen, wie ästhetisch-textuelle Rekursionen in konkreten kulturellen Konstellationen produktiv werden, legt das Kolleg ein an Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie orientiertes Modell literarischer agency zugrunde. Dieses setzt – gestützt auf Latours Theorem einer dezentrierten, auf verschiedene, humane und nicht-humane, Aktanten verteilten Handlungsmacht – voraus, dass das Vermögen, Texte zu generieren, einer Pluralität miteinander assoziierter Instanzen (und nicht exklusiv einem souveränen Autorsubjekt) angehört. Der Rückgriff auf Latours Handlungstheorie erlaubt es so dem Projekt, ästhetisch-textuelle Rekursivität als eine Form von Praxis zu konzipieren, ohne doch in die Beschränkungen einer autor- oder subjektzentrierten Sichtweise zurückzufallen. Vielmehr ermöglicht er ein nicht-reduktives Vorgehen, das verschiedene Aspekte des bezeichneten Phänomenkomplexes – die Interessen der Akteure, die intrinsische Wirkmacht ästhetischer Formen, die medientechnischen und infrastrukturellen Voraussetzungen der Vervielfältigung und Verbreitung von Texten usw. – gleichberechtigt berücksichtigt und miteinander vermittelt.
Am Projekt beteiligt sind Literatur- und KulturwissenschafterInnen aus den Fachbereichen 05 und 06.